In der gestrigen Sitzung wurde eine vorerst „wegweisende“ Entscheidung getroffen. Wobei man eigentlich nicht von einer wirklichen Entscheidung sprechen kann – denn „mangels Alternative“ würden wir das eher als Akzeptieren von Tatsachen bezeichnen.



Die Beziehung zur Marzlinger Eisenbahnüberführung ist für viele Marzlingerinnen und Marzlinger wahrscheinlich ähnlich wie zu einer liebgewonnen, aber in die Jahre gekommenen Maschine, bei der man einfach gelernt hat mit den „Macken“ umzugehen. Aber irgendwie gehören sie halt einfach dazu.
Einmal an der richtigen Stelle hinklopfen, Hebel hin und her und dann geht’s schon wieder.

So verhält es sich wohl für die meisten Bürgerinnen und Bürger mit der Marzlinger Eisenbahnüberführung aus den 60er Jahren, der man gerade ob ihres Alters gar nicht so böse sein konnte. Dass es dort „eng zugeht“, dass sie regelmäßig unter Wasser steht und vielleicht auch mal wieder ein LKW drin stecken bleibt – irgendwie hatte man sich dran gewöhnt.
Sämtliche Versuche dort in der Vergangenheit den Bürgerinnen und Bürgern den langersehnten Wunsch eines abgetrennten Gehwegs zu erfüllen liefen leider ins leere.

Im Juli 2022 kam dann die Bahn auf die Gemeinde zu – entsprechend der Planungen solle die Brücke bis 2027 durch einen Neubau ersetzt werden bevor diese aufgrund der baulichen Substanz zur „Langsamfahrstelle“ erklärt werden müsse.

Ein millionenteurer Neubau: Geschenkt!
Seit 2022 wurde in vielen Tagesordnungspunkten über den Neubau diskutiert. Was man hierzu wissen muss: Die Bahn ersetzt die Überführung, grob geschätzt irgendwo zwischen 3-5 Millionen € auf eigene Kosten – das Bauwerk wird dann allerdings genauso wie der Bestand ausgeführt.
Das sind in unserem Fall: exakt 405cm breit und 328 cm breit. Eben genauso wie das engste Maß des aktuell bestehende Bauwerk aus dem Jahr 1963 – nur mit einer Änderung: Die Seitenwände verlaufen nicht mehr trapezförmig sondern exakt lotrecht.

Der Haken
Möchte die Gemeinde nun bei einem Neubau mitreden und das Bauwerk größer haben so nennt man das ein sogenannten „Änderungsverlangen“. Der Haken: Äußert die Gemeinde ein sogenanntes „Änderungsverlangen“ – dann trägt die Gemeinde nicht nur die Mehrkosten mit, sondern wird von Anfang an mit einem relativ hohen Kostenanteil am Gesamtbauwerk beteiligt.

Ein Beispiel hierfür aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen: Hier hat eine Gemeinde bei einem Ersatzneubau ein Änderungsverlangen über eine Durchfahrtsverbreiterung um „nur“ 30cm (von 620cm auf 650cm) gewünscht. Dafür war die Gemeinde dann mit 38% der Gesamtkosten dabei – aus einer ursprünglichen Kostenschätzung von rund 1,4 Millionen Euro wurden dann am Ende des Tages 4,3 Millionen Euro.


Das wäre ihr Preis gewesen“
Die vom Gemeinderat über die letzten beiden Jahren favorisierte Variante war eine vollwertige Fahrspur mit einem baulich abgesetzten Gehweg: Exakt 505cm breit und den aktuellen Richtlinien entsprechend.
An der lichten Höhe von 328cm führte laut Ingenieuren zwar kein Weg weg vorbei – aber da war man sich einig – damit schaffe man eine zukunftsfähige Lösung. Erste, unverbindliche Kostenschätzungen für das Bauwerk: Rund 2,8 Millionen Euro, geschätzte Kosten für die Gemeinde Marzling: Rund 1,5 Millionen Euro.

Die Haushaltssituation
So wie viele Menschen leidet auch die Gemeinde mit den Corona-Spätfolgen. Nur die Gemeinde nicht gesundheitlich – sondern finanziell, dafür aber erheblich.

Mittlerweile ist eingetreten ist, was bereits seit Jahren absehbar war: Alle Reserven sind aufgebraucht, weitere Kreditaufnahmen werden seitens der Kommunalaufsicht nicht mehr genehmigt hat. Der Haushalt 2024 „lebt“ nur noch aus der Kreditermächtigungen der Vergangenheit und soweit die Finanzplanung geht reichen die Einnahmen nicht aus um die Pflichtaufgaben zu bestreiten. Ran ans Tafelsilber heißt die Devise – und das reicht auch im Ansatz nicht um eine finanzielle Leistungsfähigkeit über den Verwaltungshaushalt hinaus wiederherzustellen.


„Wünsche sind aus“: Veto der Kommunalaufsicht:
Ein „Änderungsverlangen“ wie die Verbreiterung der Unterführung, das ist ein Luxus den sich eine Gemeinde leisten kann – vorausgesetzt das Vorhaben ist finanzierbar.
Die Spielregel lautet ganz klar: Wenn das Geld für Pflichtaufgaben nicht reicht, dann darf erst recht kein Geld für freiwillige Vorhaben ausgegeben werden.
Und nachdem eine „breitere“ Unterführung zwar schön, aber rechtsaufsichtlich „Luxus“ ist war die rechtsaufsichtliche Stellungnahme dementsprechend emotionslos:
Wir als Gemeinde dürfen uns aufgrund der finanziellen Situation ein solches Änderungsverlangen nicht leisten. „Selbst wenn die Baumaßnahme später erfolgt muss die Gemeinde zum Zeitpunkt des Beschlusses die Gewissheit haben, dass die Finanzierung dann gesichert ist.“

Auch wenn es der Mehrheit schwer fiel der Tatsache ins Auge zu schauen:
Der Zug bei der Eisenbahnüberführung ist vorerst abgefahren. Auch wenn bei der namentlichen Abstimmung drei Stimmen (aus Protest oder um ein Zeichen zu setzen) für ein Änderungsverlangen votierten: Weichen zu stellen funktioniert nur wenn der Zug noch nicht drübergefahren ist.

Als Gemeinderat hat sich das angefühlt, wie am Bahnsteig zu stehen und dem abfahrenden Zug hinterherzuschauen weil man sich das Ticket nicht mehr leisten kann. Schwarzfahren: Leider keine Lösung – denn ein anderweitiger Beschluss: rechtswidrig.

Gegen die dringende Empfehlung der Rechtsaufsicht angesichts leerer Kassen für ein Änderungsverlangen zu stimmen war für die Mehrheit keine Option. Und wahrscheinlich nicht die letzte wirklich schmerzhafte Entscheidung.

So geht’s weiter
Damit ist nun die erstmal die „Bahn am Zug“. Und weil es nicht so einfach ist: Sollte es ein sogenanntes „Änderungsverlangen-Müssen“ geben (d.h. aus nicht von der Gemeinde zu vertretenden Gründen muss die Überführung breiter werden als der identische Nachbau) – dann geht’s in die nächste Runde. Und dann wird es spannend: Was passiert, wenn eine Gemeinde sich an den Kosten beteiligen MUSS ohne selbst ein Änderungsverlangen geäußert zu haben und das nicht finanzieren kann?
Auf diese Frage – und warum erst nach zweijähriger Diskussion über Breite/Höhe die Stellungnahme kam – gibt es leider (noch) keine Antwort.

Bis dahin werden jedoch noch viele Züge über die alte Brücke rollen. Oder auch Wasser die Isar hinunterfließen. Aber das ist dann ein anderes Thema. (Fortsetzung folgt.)

„Same same but different“: Ein Neubau ohne „Änderungsverlangen
(Fotomontage: www.für-marzling.de)


Anmerkung: Die Bahn hat Vorfahrt. Deshalb heißt es – auch wenn die meisten Bürgerinnen und Bürgerinnen von der „Bahnunterführung“ sprechen ganz offiziell und Korrekt „Bahnüberführung“. Denn die Sichtweise ist immer aus Sicht der Bahn.


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